Augenweide Diego

Bremen gewinnt in Hannover mit 4:2 und freut sich, einen Nachfolger für Johan Micoud gefunden zu haben

HANNOVER taz ■ Neues Spiel, neues Glück. Nicht bei Hannover 96. Das Stadion heißt immer noch nach der Firma des sinistren Finanzdienstleisters Maschmeyer, der neue Präsident sieht wieder aus wie Nick Knatterton, also wie der Vorgänger des alten. Und auch Peter Neururers Frühform hält mühelos das Niveau der vergangenen Saison. Nach Spielende sah man ihn wie einen begossenen Pudel vor die Pressekonferenz treten und seiner „tiefen Enttäuschung“ Ausdruck geben. Obwohl er in der Vorbereitung einen revolutionären Mentalitätswechsel implantiert hat – neuerdings „läuft 96 auf, um zu gewinnen“ –, gab es gegen Bremen die übliche Heimklatsche. Diesmal mit 2:4.

Anders lautenden Gerüchten zum Trotz, die vor allem der sehbehinderte Lokalsender NDR III in den Äther schickte, war der Werder-Sieg am Ende hochverdient. Immerhin hatten die 49.000 Zuschauer ein interessantes Spiel gesehen. Das lag bis zur 72. Minute zum Gutteil an den Roten, die den anfangs etwas bräsigen Werderanern mit Courage entgegentraten und tatsächlich Spielkultur aufblitzen ließen. Mit dem Holländer Bruggink hat das Mittelfeld endlich eine tragende defensive Säule, neben der Techniker wie Yankov und der dribbel- und zweikampfstarke ungarische Neuzugang Huszti ihre Möglichkeiten entfalten können. Davon profitierte vor allem Jiri Stajner. Das gewöhnlich zwischen Genie und Wahnsinn taumelnde böhmische Knödelchen präsentierte sich nicht nur gertenschlank, sondern fabrizierte einen genialischen Steilpass nach dem anderen. Den ersten in Minute 9 vergab Huszti, den zweiten kurz nach Wiederanpfiff drosch Hashemian aus zehn Meter Entfernung freistehend über die Latte. Da stand es schon 1:1. Die Werder-Führung hatte Micoud-Ersatz Diego besorgt, der den Franzosen zu keiner Minute vermissen ließ. Im Gegenteil. Mit laufender Spieldauer entwickelte er sich zum Dreh- und Angelpunkt des Bremer Spiels.

Dem kleinen Argentinier zuzusehen, mit welcher Souveränität er den Ball aus jeder Lage annahm, verteilte und wenn es passte, Hannovers Verteidigern listig vom Fuß stahl, war eine Augenweide. Als ausgerechnet der hüftsteife Tarnat versuchte, den Rastelli im eigenen Strafraum vorzuführen, sagte Diego danke und setzte das Leder in der 19. Minute flach und unhaltbar für Enke ins linke Toreck. Doch der Bundesliga-Veteran rächte sich 20 Minuten später mit einem feine Pässchen auf Stajner, der das Leder mit dem Innenrist an Wiese vorbei zum Ausgleich spitzelte.

Im Gegenzug stolperte der bis dato von Mertesacker-Tauschobjekt Fahrenhorst gut bewachte Klose professionell über Enke, und Schiri Franz Xaver Wack packte die Gelegenheit beim Schopf, seine Zunft gleich zum Saisonauftakt wieder in Verruf zu bringen. Nachdem er schon einige merkwürdige Freistoßentscheidungen zugunsten der Bremer getroffen hatte, pfiff er nun Elfmeter. Doch Enke parierte Borowskis Geschoss. Werder wirkte selbst nach der Pause noch etwas konsterniert und Trainer Schaaf musste mit ansehen, wie „ein sehr starkes Hannover“ auf die Führung drängte. Sie kam, als Hashemian endlich einen von Stajners Traumpässen nutzte. Warum es für 96 dennoch nicht zum Sieg langte, ist ein sattsam bekanntes Drama in Hannover. Tarnat war zu langsam für Fritz, dessen Flanke Almeida einnickte (79.), Zuraw war zu langsam für Klose, der die Kugel an der Strafraumgrenze seelenruhig stoppen und mit Schmackes in den Winkel hauen konnte (85.). Und der völlig indisponierte Brdaric, den Neururer – wer weiß, warum – für Mittelfeldsäule Bruggink eingewechselt hatte, sah staunend zu, wie Diego mit einer finalen Glanztat Jensen das 4:2 auflegte (91.).

Per Mertesacker, der vor der Partie von Hannovers Präsidenten Martin Kind mit einer goldenen Uhr und vom Publikum mit ein paar Pfiffen in Richtung Bremen verabschiedet wurde, gab anschließend zu Protokoll, er sei froh, „dass der Wechsel jetzt endlich vollzogen ist“. Man kann den Mann verstehen.

MICHAEL QUASTHOFF